Die Kompetenzen der Viertklässler in den Fächern Deutsch und Mathematik sind gegenüber den Ergebnissen aus den Jahren 2011 und 2016 bundesweit deutlich zurückgegangen. Das zeigt der neue „IQB-Bildungstrend 2021“. Der negative Trend hat sich seit 2016 sogar verstärkt.

Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hatte zum dritten Mal im Auftrag der Kultusministerkonferenz untersucht, inwieweit Viertklässlerinnen und Viertklässler die bundesweit geltenden Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) in den Fächern Deutsch und Mathematik für den Primarbereich in den Ländern erreichen. Die Daten zum IQB-Bildungstrend 2021 wurden zwischen April und August 2021 erhoben, ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie.

Der Anteil der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard erreichen oder übertreffen, hat in beiden Fächern abgenommen. Zugleich hat der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die den Mindeststandard nicht erreichen und damit ein hohes Risiko für einen weniger erfolgreichen Bildungsweg aufweisen, in allen Kompetenzbereichen teils deutlich zugenommen.

Die geschlechtsbezogenen Disparitäten sind im Fach Deutsch stabil geblieben, sie haben jedoch im Fach Mathematik zu Lasten der Mädchen geringfügig zugenommen. Die Daten belegen auch in der bundesweiten Betrachtung eine Verstärkung des Zusammenhangs zwischen sozialem Hintergrund der Kinder und erreichtem Kompetenzniveau (soziale Disparitäten). Zudem fallen die Kompetenzeinbußen für Kinder mit Zuwanderungshintergrund – insbesondere für Kinder der ersten Generation, die selbst im Ausland geboren sind – überwiegend größer aus als für Kinder ohne Zuwanderungshintergrund. Bei insgesamt sinkendem Kompetenzniveau haben sich die zuwanderungsbezogenen Disparitäten in allen Bereichen verstärkt.

Die erreichten Kompetenzen hängen auch bedeutsam mit Merkmalen der Lernumgebung während der pandemiebedingten Schulschließungen zusammen, insbesondere mit der räumlichen und technischen Ausstattung zu Hause. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass zwar der überwiegende Teil der Kinder zu Hause über gute Lernbedingungen verfügte, eine mangelnde Ausstattung den Lernerfolg aber beeinträchtigt haben kann.

Karin Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein: „Die Ergebnisse sind ernüchternd. Wir waren zwar bis 2016 in einzelnen Ländern auf einem guten Weg, die Bildungschancen der Viertklässlerinnen und Viertklässler zu verbessern. Jetzt aber sind wir deutlich zurückgefallen.
Denn die Leistungen haben sich durchweg – auch wenn es für einzelne Länder unterschiedlich starke Entwicklungen gibt – im Trend verschlechtert. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Zum einen die Corona-Pandemie mit langen Schulschließungen, mit Wechselunterricht und Distanzlernen. Das hat sich negativ auf die Lernleistungen ausgewirkt. Insbesondere Kinder aus sozial schwächeren Familien und/oder mit Migrationshintergrund waren betroffen. Zum anderen wird deutlich, dass wir zu spät im Bildungsverlauf mit systematischer Diagnostik und differenzierter Förderung beginnen. Wir investieren in Deutschland zu wenig in den Elementarbereich. Bereits in der KITA müssen wir insbesondere den Erwerb und die Förderung von Deutsch als Bildungssprache und Vorläuferfähigkeiten im Bereich Mathematik in den Blick genehmen. Außerdem hat sich die Zusammensetzung der Schülerschaft seit 2016 deutlich verändert. Entsprechend der gesellschaftlichen Erwartung an Schule ist sie inklusiver geworden. Das hat Auswirkungen auf die Heterogenität und die damit verbundenen Herausforderungen für Lehrkräfte. Als Verantwortliche in den Ländern werden wir kritisch auf das blicken, was wir unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen Strukturen, Verhältnisse und Bildungslandschaften den jüngsten Schülerinnen und Schülern vermitteln. Wir werden uns als KMK überlegen müssen, wie wir wieder mehr Bildungsgerechtigkeit herstellen können. Ich erhoffe mir auch von dem für den Dezember angekündigten Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) zur Grundschule wichtige Impulse, wie wir dieses Ziel erreichen können.“

Ties Rabe, A-Länderkoordinator und Hamburgs Senator für Schule und Berufsbildung: „Der IQB-Bildungstrend zeigt, dass die monatelangen Schulschließungen tiefe Spuren hinterlassen haben. Es war deshalb richtig, dass sich die Kultusministerkonferenz gegen erhebliche Widerstände immer wieder für offene Schulen eingesetzt hat.
Gleichzeitig zeigt der IQB-Bildungstrend, dass auch ohne Corona die Leistungen der Schülerinnen und Schüler zurückgehen. Wir haben offensichtlich noch nicht die richtigen Antworten auf die wachsende Zahl von Schülerinnen und Schüler gefunden, die zu Hause weniger Rückenwind bekommen und einen weiteren Weg zum Bildungserfolg haben. Deshalb brauchen wir jetzt eine Diskussion über eine wirksamere Pädagogik, die größere Bildungserfolge bei den Kernkompetenzen erzielt.
Der IQB-Bildungstrend gibt meines Erachtens erste Hinweise, dass eine Trendumkehr mühsam, aber möglich ist. Auch bei uns in Hamburg sind die Kompetenzen leider etwas zurückgegangen, aber deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt. Hamburgs Schülerinnen und Schüler konnten sich deshalb im Bundesvergleich über alle Kompetenzbereiche deutlich von Platz 14 (2011) auf Platz 6 (2021) verbessern. Statt auf Entlastung und Erleichterung setzen wir auf mehr und intensiveren Unterricht, eine stärkere Fokussierung auf Kernkompetenzen, klare und hohe Leistungsanforderungen, Schulinspektionen und Lernstandsvergleiche, mehr Übungsphasen und die gezielte Förderung schwächerer Schülerinnen und Schüler. Nicht alle diese Veränderungen fanden anfangs durchgängigen Beifall, und wir erheben nicht den Anspruch, alles richtig gemacht zu haben. Dafür kennen wir noch nicht genau genug alle Zusammenhänge erfolgreichen Lernens. Aber der Erfolg ist sehr deutlich erkennbar, und ich bin den Hamburger Lehrerinnen und Lehrern für ihr großes Engagement außerordentlich dankbar.“

Ministerin Theresa Schopper, für die B-Seite und Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg: „Ein Kernergebnis des IQB-Bildungstrends 2021 ist, dass zu viele Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards bei den Basiskompetenzen nicht erreichen. Diese Kompetenzen sind aber für das weitere Lernen von zentraler Bedeutung. Dass insbesondere Kinder aus sozial weniger privilegierten Familien oder mit einem Zuwanderungshintergrund schlechter abschneiden, zeigt, dass wir noch großen Nachholbedarf bei der Bildungsgerechtigkeit haben. Der Weg, wie wir uns als Länder verbessern können, kann nur über qualitätsvolle, wissenschaftlich fundierte Programme zur Stärkung der Basiskompetenzen gelingen. Dabei müssen wir auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und die frühkindliche Bildung in den Blick nehmen. Das wird ein Weg sein, bei dem wir einen langen Atem brauchen werden, denn Schulschließungen und Fernlernen haben die Schere bei den Schülerleistungen noch weiter auseinandergehen lassen. Die Pandemie hat uns aber auch deutlich vor Augen geführt, dass Schule nicht nur ein Lern-, sondern auch Sozialraum ist, der den Kindern Halt und Struktur gibt. Das spiegeln die Ergebnisse zur Schulzufriedenheit in der IQB-Studie wider. Das spricht für das Engagement aller Beteiligten in unserem Schulsystem und ist ein großes Kompliment für unsere Lehrkräfte.“

Zentrale Ergebnisse der Studie (s. auch Pressemappe für weitere Details)

Allgemein

Im Lesen im Fach Deutsch beträgt der Mittelwert der erreichten Kompetenzen im Jahr 2021 in Deutschland insgesamt 471 Punkte (2016: 493; 2011: 500), im Zuhören 456 Punkte (2016: 484; 2011: 500) und in der Orthografie 473 Punkte (2016: 500; 2011: nicht berichtet). Im Fach Mathematik (Globalskala) werden im Mittel 462 Punkte (2016: 483; 2011: 500) erreicht.
Bundesweit fällt der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2021 den Regelstandard erreichen oder übertreffen, in allen untersuchten Fächern und Kompetenzbereichen signifikant geringer aus als im Jahr 2016: Lesen: -8 Prozentpunkte; Zuhören und Orthografie: -10 Prozentpunkte; Mathematik: -7 Prozentpunkte.
Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die den Mindeststandard verfehlen, hat in allen Bereichen signifikant zugenommen: Lesen: +6 Prozentpunkte; Zuhören und Orthografie: +8 Prozentpunkte; Mathematik: +6 Prozentpunkte.
Die erreichten Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Jahr 2021 hängen bedeutsam mit den Lernbedingungen während der Coronavirus-Pandemie zusammen, insbesondere mit der räumlichen und technischen Ausstattung zu Hause.
Zudem geht ein höherer Anteil an Präsenzunterricht, eine gute Unterstützung beim Lernen im Distanzunterricht durch die Eltern, sowie ein nach Einschätzung der Lehrkräfte besser funktionierender Distanzunterricht mit höheren Kompetenzwerten der Schülerinnen und Schüler einher.
Geschlechtsbezogene Disparitäten

Im Fach Deutsch sind die geschlechtsbezogenen Disparitäten in Deutschland insgesamt und in den Ländern im Vergleich zu den Jahren 2011 und 2016 weitgehend stabil geblieben. In Mathematik ist seit 2016 eine geringfügige Zunahme zu verzeichnen.
Mädchen erzielen im Fach Deutsch im Mittel höhere Kompetenzwerte als Jungen, wobei der Kompetenzvorsprung im Bereich Orthografie mit 31 Punkten am größten ist, während er im Zuhören nur 5 Punkte beträgt. Demgegenüber erzielen Jungen im Fach Mathematik Kompetenzwerte, die im Durchschnitt um 25 Punkte höher sind als die der Mädchen.
Soziale Disparitäten

Kompetenzrückgänge bei Grundschülerinnen und -schülern aus sozial weniger privilegierten Familien in Deutschland sind insgesamt stärker ausgeprägt als bei Schülerinnen und Schülern aus sozial privilegierteren Familien.
Zuwanderungsbezogene Disparitäten

Im Jahr 2021 weisen insgesamt 38 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland einen Zuwanderungshintergrund auf. Der Anteil von Kindern mit Zuwanderungshintergrund schwankt jedoch erheblich zwischen den Ländern (von rund 12% bis über 58%). Bundesweit hat sich der Anteil von Kindern mit Zuwanderungshintergrund seit dem Jahr 2016 um etwa 5 Prozentpunkte und seit dem Jahr 2011 um knapp 14 Prozentpunkte signifikant erhöht.
Eine Steigerung ist insbesondere für den Anteil der Kinder, die nicht in Deutschland geboren sind (erste Generation) zu verzeichnen. Bundesweit ist dieser Anteil gegenüber dem Jahr 2016 um 7 Prozentpunkte auf insgesamt knapp 11 Prozent angestiegen. Innerhalb dieser Gruppe ist mehr als jedes dritte Kind (ca. 40%) fluchtbedingt nach Deutschland gekommen.
Am stärksten fallen die Kompetenzrückgänge und die zuwanderungsbezogenen Disparitäten im Zuhören aus. Hier beträgt die Punktdifferenz im Jahr 2021 146 Punkte (erste Generation) bzw. 90 Punkte (zweite Generation) im Vergleich zu Kindern ohne Zuwanderungshintergrund. In der Orthografie fallen die Disparitäten mit 76 Punkten (erste Generation) bzw. 31 Punkten (zweite Generation) am geringsten aus.
Bundesweit lassen sich die zuwanderungsbezogenen Disparitäten im Jahr 2021 teilweise auf andere familiäre Hintergrundmerkmale (geringerer sozioökonomischer Status und weniger kulturelles Kapital sowie nicht-deutsche Familiensprache) und ungünstigere Lernbedingungen von Kindern aus zugewanderten Familien während der Corona-Pandemie zurückführen. Dabei bestätigt sich erneut die Rolle der in der Familie gesprochenen Sprache: Kinder, bei denen zuhause nur manchmal oder nie Deutsch gesprochen wird, erreichen bei gleichem sozialen Hintergrund und gleichen pandemiebedingten Lernbedingungen überwiegend deutlich geringere Kompetenzen als Kinder, in deren Familien immer Deutsch gesprochen wird.
Schulzufriedenheit

Im Jahr 2021 sind Grundschülerinnen und Grundschüler unverändert überwiegend zufrieden mit ihrer Schule und fühlen sich mehrheitlich gut in ihre Klasse integriert. Dies ist weitgehend unabhängig vom Zuwanderungshintergrund, wobei fluchtbedingt zugewanderte Kinder im Durchschnitt sogar zufriedener sind als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler.


Hintergrundinformationen zur Studie

Am IQB-Bildungstrend 2021 haben 26.844 Schülerinnen und Schüler der 4. Jahrgangsstufe in 1.464 Schulen aus allen 16 Ländern teilgenommen. Die Datenerhebung erfolgte zwischen April und August 2021. Trotz pandemiebedingter Einschränkungen im Schulbetrieb konnten die geplanten Tests überwiegend wie geplant durchgeführt werden. Lediglich in Mecklenburg-Vorpommern konnten aufgrund von pandemiebedingten Schulschließungen in Verbindung mit frühen Sommerferien nicht die Teilnahmequoten erreicht werden, die für eine länderspezifische Berichtslegung erforderlich sind.

Im Fach Deutsch wurden die Kompetenzbereiche Lesen, Zuhören und Orthografie getestet. Im Fach Mathematik wurden fünf sogenannte inhaltsbezogene mathematische Kompetenzen bzw. Leitideen überprüft, die sich in einer Globalskala mathematischer Kompetenzen zusammenfassen lassen.

Die Bildungstrends werden auf Grundlage der von der Kultusministerkonferenz vereinbarten Bildungsstandards durchgeführt und richten sich damit stärker an der Lehrplanwirklichkeit und Unterrichtspraxis aus als internationale Erhebungen, an denen Deutschland ebenfalls regelmäßig teilnimmt.

Die wissenschaftliche Gesamtverantwortung für den IQB-Bildungstrend 2021 liegt beim Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Petra Stanat.

Den Bericht, eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie weitere Informationen zum IQB-Bildungstrend 2021 finden Sie unter
https://www.iqb.hu-berlin.de/bt/BT2021/Bericht

Text: Pressemitteilung KMK

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