Ein Jubiläum steht bevor: Als Gründungsdatum für die Volkswerft wird im Allgemeinen der 15. Juni 1948 angesehen. Wenn man es genau nimmt, so kann man bei diesem Datum nicht von einer Gründung der Volkswerft sprechen. Warum?
Schon vor 1945 existierte am südöstlichen Stadtrand eine Werft, die aber nicht mit den späteren Dimensionen der Volkswerft vergleichbar ist. Die Kröger-Werft, gegründet im Jahre 1941 als Zweigstelle von den Rostocker Werftbesitzern Hans und Karl Kröger, stellte kleine Marinefahrzeuge und Flugsicherungsboote zum Bergen von über der See abgestürzten Flugbesatzungen her. Ende April 1945 setzten sich die Krögers unter Mitnahme von Maschinen und Materialien nach Schleswig-Holstein ab.
Aus der Kröger-Werft in Stralsund wurde am 15. Juni 1945 die Ingenieurbau GmbH. Hauptbetätigungsfelder der Firma waren zunächst Brückenbau- und Baggerarbeiten. Von der Sowjetischen Militäradministration erhielt die junge Firma am 17. April 1946 den Befehl, zwölf Fischkutter zu bauen. Um sich ganz auf den Schiffbau zu konzentrieren, erfolgte 1947 die Herauslösung der Bauabteilung, aus der die Bau-Union Küste hervorging. Am 14. April 1947 ging die Ingenieurbau GmbH in Landeseigentum über. Am 23. August 1948 schließlich wurde aus dem Unternehmen ein Volkseigener Betrieb – noch ohne einen eigenen Namen.
Am 15. Juni 1948 erhielt die Firma, die zu der Zeit bereits 1.000 Arbeiter beschäftigte, auf Wunsch der Belegschaft den neuen Namen Volkswerft. Eine vollkommene Neuschöpfung war die Volkswerft also nicht, jedoch wird der 15. Juni 1948 inzwischen dauerhaft als Gründungsdatum der Volkswerft angesehen.


Werft für den Bau von Fischfangschiffen


Anfang Juni 1948 erging von der Sowjetischen Militäradministration der Befehl, in den Hafenstädten der damaligen sowjetischen Besatzungszone große Werften für den Bau von Fischfangschiffen zu errichten. In Stralsund fiel die Wahl auf die Volkswerft. Die Arbeiten sollten in gerade mal sechs Monaten abgeschlossen sein, was aber völlig unrealistisch war.
Am 28. Juni 1948 wurde der erste Pfahl für den Bau einer neuen, großen Schiffbauanlage in den Boden gerammt. Hunderte Bauarbeiter waren fortan mit der Errichtung des „Riesenbetriebes“ beschäftigt. Untergebracht wurden sie in den einstigen Kasernengebäuden auf der Insel Dänholm und am Platz des Friedens. Auf dem Dänholm plante die Stadt einen neuen Ortsteil. Zudem sollten an der Reiferbahn und auf dem Hof der ehemaligen Kaserne am Frankendamm schnellsten neue Häuser entstehen, deren Wohnungen für die Arbeiter der Volkswerft bestimmt waren.
Für die große Werft brauchte man natürlich gut ausgebildetes Fachpersonal. Deshalb wurde auf dem Dänholm eine fachtechnische Lehranstalt für Schiffsbau eröffnet. Darüber berichtete die „Landes-Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 4. September 1948 u. a. wie folgt: „Mit der Errichtung einer fachtechnischen Lehranstalt für Schiffsbau auf dem Dänholm überraschte kürzlich die Volkswerft Stralsund die Öffentlichkeit. Durch den Oberbürgermeister Frost, Vertreter der SED, des FDGB und der Volkswerft wurde sie ihrer Bestimmung übergeben. Zweihundert Facharbeiter aus allen Kreisen Mecklenburgs, die zum Teil schon als Vorarbeiter in den Volkswerften und anderen volkseigenen Betrieben tätig waren, werden hier in einem viermonatigen Lehrgang zu Werkmeistern des Schiffbaues herangebildet.“


100 Schiffe pro Jahr


Die gesamte Schiffbauproduktion der Volkswerft sollte zukünftig unter dem Hallendach am „Fließband“ erfolgen. Die Schiffbauhalle mit allein drei Hallenschiffen war Mitte 1949 fertiggestellt. Ende August begann der Bau des ersten Loggers. Schon wenige Wochen später, am 6. November 1949, wurde das neue Schiff auf den Namen „Oktoberrevolution“ getauft. Dieses große Ereignis wurde natürlich über die Stadtgrenzen hinaus gewürdigt. Ministerpräsident Otto Grotewohl dankte den Werftarbeitern per Telegramm. Er bedauerte es „zutiefst, nicht selbst in Stralsund anwesend zu sein, da er die Einladung zu spät erhielt“.
„Wohl selten hat die Volkswerft Stralsund“, so konnte man in der „Landes-Zeitung“ vom 7. November 1949 lesen, „seit ihrem Bestehen solch einen stolzen und bedeutungsvollen Tag erlebt wie die feierliche Taufe ihres ersten Loggers der neuen Produktion am gestrigen Tage. Weit überragte der mächtige, schmucke Schiffskörper auf der Slipanlage die Gebäude der Werft. Fahnen flatterten von den Schiffsmasten und Gebäuden. Die Werftsirenen heulten auf und die vielen Werft- und Bauarbeiter, Angestellten und Ingenieure, die sich um ihren ersten Logger versammelt hatten, sagten es an diesem Tage der ganzen Welt: Ein Jahr haben wir in schwerster Arbeit eine moderne Loggerwerft aufgebaut. Viele Millionen haben die Werktätigen unserer Zone in diesem gewaltigen Projekt angelegt. Doch heute ist es soweit, die Serienproduktion der Eisenschiffe läuft.“
Die Logger 402 und 403 hatten zu diesem Zeitpunkt schon das Hauptgerüst verlassen, um auf der Taktstraße ihrer Fertigstellung entgegen zu gehen. Schon bald wurden in der Volkswerft 100 Schiffe pro Jahr gebaut. Das hieß: Alle drei Tage wurde ein Logger von der Slipanlage zu Wasser gelassen.

Text: Stadtarchiv Stralsund, Andreas Neumerkel

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